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Genetische Variabilität - Turesson

in Artikel 02.12.2012 15:57
von franzpeter | 17.402 Beiträge

Genetische Variabilität Tyresson




Genetische Variabilität in der Guppyzucht von J. Håkan Turesson (aus dem schwedischen ‚Guppybrev 3/2002‘, übersetzt von A. Wolf)

Genetische Variabilität bedeutet, dass verschiedene Varianten eines Genes in einer Population oder in einem Individuum vorhanden sind. Ein einzelner Fische hat nur zwei Kopien von jedem Gen und kann daher natürlich höchstens zwei Varianten eines bestimmten Genes haben. Aber die gesamte Fischpopulation, also der Stamm, kann viele unterschiedliche Varianten eines jeden Genes besitzen. Wenn nicht alle verschiedenen Varianten in die nächste Generation vererbt werden, hat der Stamm genetische Variation verloren. Alle Stämme in die nicht eingekreuzt wird, verlieren mit der Zeit genetische Variabilität. Spielt dies überhaupt eine Rolle? Ein Ziel der Guppyhochzucht ist es, einen Stamm zu züchten, in dem die Männchen einander so ähnlich wie möglich sind. In einigen alten Artikeln kann man lesen, dass man am schnellsten einen einheitlichen Stamm erhält, wenn man so stark wie möglich Inzucht betreibt. Das heisst, man verpaart eng miteinander verwandte Tiere in jeder Generationen. Das ist richig und die Methode funktioniert, wenn man so schnell wie möglich einen einheitlichen Stamm haben möchte. Aber Inzucht hat auch einige gut bekannte und sehr negative Effekte: Rückgang der Vitalität, Fertilität und der Widerstandskraft gegen Krankheiten. Man kann diese negativen Effekte bis zu einem gewissen Maße eindämmen, wenn man immer das gesundeste und fruchtbarste Tier zur Nachzucht verwendet. Aber negative Effekte können nicht ganz vermieden werden. Ein Beispiel ist die stark reduzierte oder verlorene Fertilität, ein typischer Effekt der Inzucht, den viele Züchter schon beobachtet haben. Ein Stamm kann über mehrere Generationen eine niedrige Fruchtbarkeit zeigen und zum Schluss überhaupt keinen Jungen mehr bekommen. Ein weiteres häufiges Problem unter dem viele Hochzuchtstämme leiden, ist die geringe Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten. Wenn der Züchter, der einem Fische schenkt oder verkauft, empfielt Wasserbereitungsmittel, Salz, Formalin, Kaliumpermanganat und Breit-Spektrum-Antibiotika zu verwenden, damit die Fische in ihrer neuen Umgebung überleben, dann ist irgendetwas nicht in Ordnung. So sollte es einfach nicht sein! Es gibt einen weiteren negativen Effekt des Verlustes an genetischer Variabilität: der Züchter sägt an dem Ast, auf dem er selber sitzt. Die genetische Variabilität ist die Grundvorraussetzung für die Zuchtwahl. Wenn es keine Variabilität gibt, dann kann man auch nicht mehr auswählen, und die Zuchtwahl ist vollständig bedeutungslos geworden.


Die Fragen sind also: Wieviel Variabilität geht in jeder Generation verloren? und Wie lange kann ich einen Stamm ohne einzukreuzen züchten, bis sich nachteilige Effekte bemerkbar machen? Die Antwort hängt von einer Anzahl von Faktoren ab, aber zwei sind besonders wichtig, nämlich die Anzahl der Zuchttiere und das Verhältnis in der Anzahl Weibchen zu Männchen.

Anzahl der Zuchttiere
Vergessen wir zunächst einmal das Verteilungsverhältnis zwischen Weibchen und Männchen und konzentrieren uns nur auf die Anzahl der Zuchttiere. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass nur die Tiere, die wirklich Nachkommen produzieren, auch als Zuchttiere gerechnet werden. Wenn man zum Beispiel 200 Guppies in jeder Generation aufzieht und das beste Männchen und das beste Weibchen zur Weiterzucht verwendet, dann ist die Anzahl der Zuchttiere zwei und die genetische Populationsgrösse ist auch zwei. Wenn man 200 Guppies in jeder Generation aufzieht und zwei Männchen und 20 Weibchen verpaart, aber nur die Jungen der ersten beiden Weibchen verwendet, dann ist die Anzahl der Zuchttiere und die genetische Populationsgrösse vier. In beiden Beispielen ist also die Grösse der Population 200, aber die Grösse der genetischen Population ist sehr viel kleiner.

Nun gibt es eine einfache Gleichung, mit der man berechnen kann, wieviel genetische Variabilität in jeder Generation verloren geht, abhängig davon, wieviele Zuchttiere man verwendet:

1/(2*n) n=Anzahl der Zuchttiere.

Wenn man zum Beispiel zwei Zuchttiere verwendet, dann gehen 1/(2*2)=0.25 (=25%) der genetischen Variationen verloren. Wenn man vier Zuchttiere verwendet, dann gehen 1/(2*4)=0.125 (=12.5%) der genetischen Variation verloren. Für zehn Zuchttiere ist das Ergebnis 1/(2*10)=0.05 (=5%).

Wenn man aber stattdessen wissen möchte, wieviel genetische Variabilität pro Generation bewahrt bleibt, dann ist die Gleichung: 1-1/(2*n). Für die oben genannten Beispiele mit zwei, vier und zehn Zuchttieren bleiben dann dementsprechend 75%, 87.5% und 95% der genetischen Variabilität erhalten.

Nun ist es einfach zu berechnen, wieviel genetische Variabilität nach einer bestimmten Anzahl von Generationen (g) erhalten bleibt. Man kann entweder die Berechnung für jede Generation wiederholen, oder man verwendet die Formel:

(1-1/(2*n))g .

Weil es jetzt wieder ein bisschen kompliziert ist, gebe ich ein paar Beispiele. Nach fünf Generationen mit nur zwei Zuchttieren sind noch (1-1/(2*2))5 =0.237, dass heisst 23.7% der genetischen Variabilität vorhanden. Mit vier Zuchttieren sind nach fünf Generationen noch 51.3% und mit zehn Zuchttieren sogar 77.4 % der ursprünglichen genetischen Variabilität vorhanden. Wir sehen also, je mehr Zuchttiere wir benutzen, desto mehr genetische Variabilität bleibt erhalten - und genau das ist unser Ziel.

Wieviel Verlust an genetische Variabilität kann man akzeptieren und was kann man gegen den Verlust tun? Die Antwort auf die zweite Frage ist einfach. Die einzige Möglichkerhöhen, ist es seine Guppies mit nicht verwandten oder nur entfernt verwandten Guppies zu kreuzen. Die meisten Züchter wissen das und kreuzen darum von Zeit zu Zeit andere Fische in ihren Stamm ein. Natürlich ist das Einkreuzen ein teilweiser Rückschlag im Zuchtprogramm und sollte darum nicht häufiger als nötig geschehen. Gehen wir als Beispiel davon aus, dass wir einen Verlust von 50% der genetischen Variabilität akzeptieren können, bevor wir das nächste Mal einkreuzen. Wir können die oben genannte Gleichung benutzen und die Anzahl der möglichen Generationen ermitteln, für eine unterschiedliche Anzahl von Zuchttieren (= unterschiedliche Genetische Populationsgrösse). Das Ergebnis ist in Tabelle 1 dargestellt.






Uploaded with ImageShack.usAls erstes Beispiel: Wenn wir den Verlust der Hälfte der genetischen Variabilität akzeptieren, dann können wir mit zwei Zuchttieren nur zwei Generationen lang züchten, bevor wir wieder einkreuzen müssen. Das bedeutet, man sollte einmal pro Jahr einkreuzen. Wenn man aber stattdessen 30 Zuchttiere pro Generation verwendet, dann kann man sein Zuchtprogramm über 40 Generationen fortsetzen ohne einzukreuzen. Das sind ungefähr 20 Jahre! Das ist natürlich die Theorie und in der Wirklichkeit sind alle Hobbyzüchter in der Anzahl ihrer Aquarien begrenzt und können meist nicht 30 Zuchttiere verwenden. Aber die Tabelle zeigt uns, wie wichtig es ist, mehr Zuchttiere zu anzuwenden. Zehn oder 20 Zuchtiere zu verwenden, sollte für die meisten Züchter möglich sein.

Das Geschlechterverhältnis
Alles was bisher über die Anzahl von Zuchttieren und Populationsgrösse gesagt wurde, geht davon aus, dass dieselbe Anzahl von Männchen und Weibchen in jeder Generation verwendet wird, und das jeder Fisch dieselbe Anzahl von Nachkommen produziert. Bei der Guppyzucht verwendet man jedoch häufig unterschiedlich viele Männchen und Weibchen, in den meistens Fällen mehr Weibchen. Das Ergebnis dieser ungleichen Geschlechterverteilung ist, dass die genetische Populationsgrösse kleiner ist als die Anzahl der verwendeten Zuchttiere. Und je ungleicher das Verhältnis ist, desto kleiner ist die 'Effektive Populationsgrösse' (ne). Man kann dieses 'Effektive Populationsgrösse' leicht ausrechnen, in Abhängigkeit von der Anzahl Weibchen (w) und Männchen (m) die zur Zucht verwendet werden:

ne=(m*w*4)/(m+w)

Wenn man also zehn Zuchttiere verwenden will, kann man fünf Weibchen und fünf Männchen wählen. Dann ist die Effektive Populationsgrösse zehn (ne=(5*5*4)/(5+5)=100/10=10). Nimmt man stattdessen zwei Männchen und acht Weibchen, dann beträgt die Effektive Populationsgrösse (2*8*4)/(2+8)=64/10=6.4. Verwendet man nur ein Männchen und neun Weibchen, dann ist die Effektive Populationsgrösse (1*9*4)/(1+9)=36/10=3.6. Selbst wenn man dieselbe Anzahl von Zuchttieren verwendet, so ist die Effektive Populationsgrösse kleiner, je ungleicher das Geschlechterverhältnis ist. Es ist aber die Effektive Populationsgrösse, und nicht die pure Anzahl von Zuchttieren, die die genetische Variabilität bestimmt, die in die nächte Generation übertragen wird.

In der zweiten Tabelle habe ich diese und noch einige weitere Beispiele von unterschiedlichen Anzahlen von Weibchen und Männchen zusammengestellt. Die Effektive Populationsgrösse wurde berechnet und ausserdem die Anzahl der möglichen Generationen (g) ermittelt, die man ohne Einkreuzen züchten kann bis 50% der genetischen Variabilität verloren ist.





Würde man also 50 Männchen und 50 Weibchen in jeder Generation benutzen, könnte man 140 Generationen lang züchten, also ungefähr 70 Jahre, bevor 50% der genetischen Variabilität verloren gegangen ist. Eine solch grosse Anzahl Zuchttiere ist vielleicht für den kommerziellen Züchter möglich, jedoch nicht für den Hobbyzüchter. Von der Tabelle kann man auch sehen, dass die Effektive Populationsgrösse (ne) niemals die aktuelle Anzahl der Zuchttiere überschreitet. Sie kann sehr viel geringer werden, wenn die Geschlechterverteilung sehr ungleich ist, aber niemals mehr. Eine etwas ungleiche Geschlechterverteilung fällt nicht so stark ins Gewicht, wenn sie aber mehr als 1:3 wird, dann ist die Effektive Populationsgrösse, und damit die Menge an genetischer Variabilität, stark beeinträchtigt.




Die Variabilität mit der wir beginnen
Bisher haben wir uns angeschaut, wieviel Variabilität man bewahren kann, von der Variabilität mit der man beginnt. Wenn man allerdings mit einer geringen Variabilität anfängt, dann gibt es nicht viel zu bewahren. Bekommt man einen neuen Stamm, dann sollte man soviele Individuen wie möglich in der ersten Generation benutzen. Wenn man also einen Züchter kennt und von ihm 10 bis 20 junge Fische bekommt oder kauft, dann ist das ein guter Start. Ein Paar oder ein Trio von einem Stamm zu bekommen, der bereits stark von Inzucht betroffen ist, ist dagegen KEIN guter Start! Trotzdem starten viele Anfänger genau so und viele von ihnen haben bald Probleme mit Krankheiten und der Fertilität ihres oft teuren Stammes. Manchmal hat man jedoch keine Wahl, zum Beispiel wenn man einen neuen Stamm bei einer Auktion kauft. In diesem Fall ist es besser, wenn man versucht Tiere vom selben Typ, aber von mehreren Züchtern zu ersteigern. Noch viel besser wäre es, nicht die Tiere von der Ausstellung zu nehmen, sondern persönlich Kontakt mit dem Züchter aufzunehmen. Man kann dann von ihm direkt zu einem späteren Zeitpunkt eine grössere Anzahl Jungfische bekommen. Ausstellungen stressen die Fische und setzen sie vielen Krankheitserregern aus, wenn dieselben Netze und andere Hilfsmittel in allen Aquarien benutzt werden. Wenn man Fische kauft, sollte man versuchen von einem Züchter zu kaufen, der gelegentlich Einkreuzungen durchführt und nicht von jemandem, der stolz darauf ist, seit Jahrzehnten einen puren Stamm zu besitzen. Weitere Möglichkeiten, mehr genetische Variabilität beim Fischkauf zu erreichen, ist mehr als nur ein Trio zu kaufen und nach befruchteten Weibchen zu fragen. Dabei sollten die Weibchen am besten mit mehreren gut ausgewählten Männchen gepaart sein und nicht mit ihren Brüdern. Man sollte auch nach Jungtieren von verschiedenen Weibchen und von verschiedenen Linien fragen. Auf diese Weise erhält man die grösstmögliche Variabilität aus dem Genpool des Züchters.

Linienzucht
Die Guppyzucht wird oft in Linienzucht betrieben, dass heisst, man züchtet mehrere Linien desselben Stammes und kreuzt diese verschiedenen Linien in bestimmten Zeitabständen miteinander. Linienzucht ist jedoch kein Wundermittel, um den Verlust an genetischer Variabilitat zu vermeiden. Die verschiedenen Linien sind miteinander verwandt und genetische Variabilität geht verloren, ob man nun eine oder mehrere Linien züchtet. Aber, wenn man zum Beispiel drei Linien züchtet, so verwendet man mindestens sechs Zuchttiere pro Generation und eine gleichmässige Geschlechtsverteilung. Das ist natürlich besser, also nur eine Linie mit zwei Zuchttieren zu haben, weil die genetische Populationsgrösse (ne) grösser ist. Der Züchter kann sich auch auf verschiedene Merkmale in den verschiedenen Linien konzentrieren, zum Beispiel auf Farbintensiät und Deckungsgrad in einer Linie und auf Körper- und Flossenform in einer anderen.

Eine andere Möglichkeit ist es, nicht mehrere Linien, mit je zwei Zuchttieren zu züchten, sondern eine grosse Gruppe in jeder Generation.

Wenn der Hobbyzüchter eine genügend grosse Anzahl Zuchttiere und ein einigermassen ausgeglichenes Geschlechterverhältnis verwendet, dann ist diese Methode genausogut, wie die Linienzucht.

Der häufigste Fehler dabei ist, zu wenige Männchen im Vergleich zur Anzahl der Weibchen zu benutzen. Benutzt man viele Männchen, dann ist es einfacher sicherstellen, dass man gute Männchen für alle gewünschten Merkmale bei der Zucht verwendet und somit keines der guten Merkmale verloren geht. In wissenschaftlichen Studien wurde ausserdem gezeigt, dass die Weibchen davon profitieren, mehrere Männchen zur Auswahl zu haben. Sie produzieren dann mehr und gesündere Nachkommen, aber das ist ein eigenes Thema, was seinen eigenen Artikel verdient.


Mit freundlichen Grüßen
franzpeter
zuletzt bearbeitet 03.12.2012 15:48 | nach oben springen
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