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Adaptation im Zeitraffer

in Artikel 11.11.2017 19:23
von franzpeter | 17.403 Beiträge

Evolutionstheorie
:
Adaptation im Zeitraffer
Von Jörg Albrecht
-Aktualisiert am 06.01.2009-07:00

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Zwei männliche „Endler”, Poecilia wingei. Bild: Karen Koomans
Evolutionäre Entwicklungen brauchen im allgemeinen lange Zeiträume, längere zumindest, als dass sie sich unter Laborbedingungen verfolgen ließen. Doch wenn man es klug anstellt, lassen sich Anpassungsprozesse unter Selektionsdruck eindrucksvoll beschleunigen.


Vor extrem langen Zeiträumen kapituliert die menschliche Anschauung - das ist einer der Gründe, warum die Geologie und die Paläontologie es in ihren Anfängen so schwer hatten und warum Darwin immer noch auf Unverständnis stößt. Er selbst hat das gewusst: "Wir sehen nichts von diesen langsam fortschreitenden Veränderungen, bis die Hand der Zeit auf eine abgelaufene Weltperiode hindeutet, und dann ist unsere Einsicht in die längst verflossenen Zeiten so unvollkommen, dass wir nur noch das Eine wahrnehmen - dass die Lebensformen jetzt verschieden von dem sind, was sie früher gewesen sind", heißt es im vierten Kapitel der "Entstehung der Arten".

Jörg Albrecht
Verantwortlich für das Ressorts „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
F.A.Z.
Es stimmt schon: Bei ihrer Arbeit lässt sich die Evolution nicht mit menschlichen Zeitmaßstäben messen. Aber gelegentlich doch beobachten. Jedenfalls am geeigneten Objekt. Der kanadische und heute in England lehrende Biologe John Endler hat das im Jahr 1980 an einer Guppy-Art gezeigt, die ihm zu Ehren unter Aquarianern schlicht "Endler" genannt wird.


Zehn Aquarien, vier Selektionsmechanismen
Poecilia wingei lebt unter anderem in Bächen auf Trinidad. Im Oberlauf, wo kaum Feinde lauern, trägt beinahe jedes geschlechtsreife Männchen ein individuelles Farbmuster. Bachabwärts, wo Guppys zur beliebten Beute anderer Fische werden, verliert sich diese Vielfalt nach und nach. Endler wollte nun wissen, welche Faktoren im Einzelnen dafür verantwortlich sind. Er bestückte zehn Aquarien mit möglichst farbenprächtigen Guppys. Die einen bekamen als Bodenschicht bunten Kies, die anderen bunten Sand. Dann teilte er diese beiden Gruppen noch einmal: Zwei blieben unter sich, die beiden anderen bekamen jeweils einen Fressfeind zugeteilt: entweder einen Buntbarsch (Crenicichla alta), der vor allem erwachsenen Guppys nachstellt, oder einen Zahnkärpfling (Rivulus hartii), der kleiner ist und sich eher an den Guppynachwuchs hält.
Auf diese Weise hatte Endler gleich vier Selektionsmechanismen eingeführt: erstens die Vorliebe der Guppyweibchen für besonders auffällige Männchen, zweitens deren höheres Risiko, gefressen zu werden, drittens die Chance, durch bessere Anpassung an die Umwelt zu überleben, viertens die Frage, wie sich eine Population entwickelt, wenn Nachwuchs und Sexualpartner unterschiedliche Überlebensraten haben.


Guppys vermehren sich rasch, nicht umsonst nennt man sie "Millionenfische". Auch das erklärt die große Farbenvielfalt, die Guppymännchen hervorbringen können. Sex ist nun mal das Mittel der Wahl, um den Genpool so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Guppyweibchen bevorzugen deshalb das Ausgefallene. Dadurch stecken die männlichen Partner aber in einer Klemme: Der eigene Reproduktionserfolg steht möglicherweise dem eigenen Überleben im Wege. Endlers Versuchsanordnung sollte Aufschluss geben, wie eine Balance in diesem Interessenkonflikt aussehen könnte.
Effekte nach fünfzehn Generationen
Es dauerte keine 15 Generationen, und die vom Buntbarsch bedrohten Männchen hatten sich in ihrer Farbgebung weitgehend dem Untergrund angenähert - sie zeigten auf Kiesboden wenige große und auf Sandboden viele kleine Flecken. Die vom Zahnkärpfling verfolgte Population konnte sich größere Auffälligkeiten bei den geschlechtsreifen Männchen leisten, weil ihr Feind ja nur am Nachwuchs interessiert war, der noch nicht ausgefärbt zur Welt kam. Es dauerte allerdings länger, bis sich die Reproduktionsraten eingependelt hatten: Nach dreißig bis sechzig Generationen kamen in den Barschbecken wesentlich mehr Guppys zur Welt, die gleichzeitig deutlich kleiner waren und früher geschlechtsreif wurden. Im Kärpflingsbecken hatte der gegenteilige Trend eingesetzt: Weniger, dafür kräftigerer Nachwuchs, der sich seinerseits später fortpflanzte.


John Endler konnte die Ergebnisse später im Freiland bestätigen. Dort sind die Verhältnisse allerdings komplizierter - es gibt in der Natur selten scharfe Grenzen, die einen Lebensraum vollständig vom nächsten isolieren. Das Nahrungsangebot und die Konkurrenz darum spielt mindestens eine so große Rolle wie das Vorhandensein von Fressfeinden, und die Partnerwahl kann auch von subtileren Dingen als der Protzerei mit Farben abhängen. Inzuchtfaktoren spielen eine Rolle, und bei alldem kann eine Art immer nur Kompromisse machen zwischen dem Aufwand, den sie beim Balzverhalten treibt, und den Vorteilen, die ein unauffälligeres Leben mit sich bringt.
Ist Endlers Guppy nun ein "Beweis" für die Evolutionstheorie? Eher müsste man wohl, wie in zahllosen ähnlichen Beispielen, von einer Bestätigung sprechen. Aber doch von einer, durch die sich eine theoretische Vorhersage experimentell beweisen lässt.
Quelle: F.A.S.


Mit freundlichen Grüßen
franzpeter
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